Es wird wenig gesprochen. Die Menschen, die in der Fußgängerzone einer der bevölkerungsreichsten Stadtteile der zweitgrößten Stadt Deutschlands unterwegs sind, bewegen sich still und stumm. Oder sie stehen, sitzen, liegen ohne zu kommunizieren. Sogar die Vögel scheinen eine Pause zu machen, obwohl die üblichen Motoren- und Verkehrsgeräusche einer Großstadt ebenfalls fehlen und sie Gelegenheit hätten, der Großstadtnatur endlich mal wieder Gehör zu verschaffen.
Corona hat alle und alles verändert. Die Großstadtmenschen sind ängstlich. Oder zumindest zurückhaltend. Sie weichen aus. Sie sind allein. Allein in der Millionenstadt. Ja, die Corona-Epidemie und der politische Lockdown hat alles in der Stadt verändert. Dies merke ich meinen Corona-Sonntagsspaziergang am 26. April 2020. Die Szenerie ist unwirklich. Unnatürlich. Unangenehm.
Und ich bin neidisch. Neidisch auf Menschen, die auf dem Land leben und jetzt im Wald oder in der Heide einen Spaziergang machen. Hier war schon vorher nichts los. Hier ist auch jetzt nicht los. Keine Veränderung? Wundervoll! Alles wie gehabt und noch schöner …
Hier in der Stadt sieht es jetzt ganz anders aus: Die Armut und die Obdachlosigkeit sind durch Corona noch viel sicht- und spürbarer geworden. Eine Frau im Rollstuhl mit einer billigen etwas verdreckten Atemmasken wirkt wie ausgesetzt und vergessen. Sie sitzt in der Ecke der Fußgängerzone. Stundenlang. Tagelang.
Obdachlose sitzen oder liegen phlegmatisch und ruhig da. Kaum jemand, der ihnen Geld gibt. Dann kaum jemand ist da. Nur vor den neu eröffneten Ladenketten teilweise Warteschlangen. Gestern zumindest. Menschen, die schon vorher nicht wussten, wohin mit sich. Sie wollen jetzt in ihren Modeladen. Hauptsache Ablenkung. Hauptsache, etwas anderes. Stadtluft macht frei? Nicht mehr in Corona-Zeiten! Hier macht Stadtluft nun ängstlich. Vorsichtig. Zumindest extrem zurückhaltend.
Nur eine Gruppe von Jugendliche haben es verstanden: Sie haben keine Angst vor Corona, sie „rebellieren“ und kommunizieren laut – als einzige. Haben sie vielleicht sogar das Recht sauer auf die Älteren zu sein? Gegenüber denjenigen, die ihnen das rausgehen und die Jugend verbieten wollen? „Coronaparty“ höre ich als fiktive Denunziantengedanken der Alten …
Und da sind Kleinkinder und ihre Eltern: Kinder, die teilweise schreien und so demonstrieren? Schreien sie, weil sie unausgeglichen sind? Weil sie nicht wissen, wohin mit sich? Nach der langen Zeit in den eigenen vier Wänden. Wände, die teilweise in den Städten nicht einmal einen Balkon, geschweigen denn einen Garten zur temporären Flucht vor der Coronahaft bieten. Einige Kinder wissen, wo es Schaukeln gibt, die nicht gesperrt sind. Wie sie nicht auf Spielplätzen sind. Nicht weitersagen, Papa, ist verboten …
Die Stadt hat sich verändert durch den Corona-Lockdown: Stadtluft macht nun nicht mehr frei. Landluft ist das, was sich viele Städter in Coronazeiten erträumen …
(Bleibt optimistisch! ohb)